Jennybox

Die etwas andere Sicht auf die Welt.

Seltsame Begegnung

Seit einigen Stunden schon stehe ich hier vor dem Kiosk und warte. Es ist kalt. Logisch, ist ja auch Winter. Worauf warte ich eigentlich? Ach ja, ich warte darauf, dass Viktor sich blicken lässt. Ich muss mit ihm reden. Irgendetwas stimmt nicht. Endlich! Da ist er! Maria und die Kleine sind auch dabei. Komisch, sie hätten mich doch eigentlich sehen müssen. Sie gehen in den Kiosk. Ich warte ein paar Minuten, dann gehe ich hinterher. Als ich den Laden betrete, sind sie gerade wieder im Begriff, zu gehen. Ich schaue ihn an, sage: »Hallo«. Er antwortet neutral: »Hallo«. Er scheint mich nicht zu erkennen, auch Maria nicht. Nur die kleine Betty schenkt mir ein strahlendes Lächeln und streckt ihre Ärmchen nach mir aus. Ich gehe so dicht an Ihm vorbei, dass ich seinen Mantel spüren kann. Irgendwie sieht er durch mich hindurch. Was ist los? Sie verlassen den Kiosk. Verdutzt schaue ich ihnen hinterher. Das gibs doch gar nicht! Wieso redet der nicht mehr mit mir? Er ist doch mein bester Freund! Okay.. gaaanz ruhig bleiben, bloß nicht aufregen, dafür gibs bestimmt eine Erklärung!

Schließlich beschließe ich, zu warten. Er muss ja bestimmt irgendwann wiederkommen. Mehrere Tage warte ich da vor dem Kiosk. Die Nächte verbringe ich auf der Straße. Es ist saukalt, aber wo sollte ich sonst hin? Nach mehreren Tagen taucht er wieder auf, diesmal allein. Er geht an mir vorbei in den Kiosk. Ich werde völlig ignoriert. Es ist, als würde er durch mich hindurchgucken. Ich spreche ihn an, aber er reagiert überhaupt nicht. Verdammt, was soll das?! Was hab ich ihm getan? »Viktor, rede mit mir!« Aber nichts passiert. Wieder verlässt er den Kiosk, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen.


Gemütlich schlendern Maria und Viktor die Straße entlang. Es war lange her, dass sie das hatten machen können. Immer noch war es sehr kalt. Aber wenigstens war es wieder möglich, mit der

Kleinen rauszugehen. »Wo wir schon mal hier sind, könnte ich eigentlich auch mal eben etwas Brot und Milch vom Kiosk holen«, meinte Maria, und schon steuerte sie den Kiosk an. Kurz bevor sie ihn wieder verließen, hatte Viktor ein seltsames Gefühl. Er glaubte, gehört zu haben, wie jemand »Hallo« gesagt hatte. Außerdem streckte seine kleine Tochter Betty die Ärmchen aus, als hätte sie gerade jemadnen gesehen, zu dem sie unbedingt wollte. Aber da war niemand. Die Stimme klang sehr vertraut. Sie klang wie Lucias Stimme, aber das war doch unmöglich. Lucia war viele hundert Kilometer weit weg. Dabei fiel ihm ein, er hatte schon sehr lange nichts mehr von ihr gehört. Er nahm sich vor, sie mal wieder anzurufen.

Wieder zu Hause schnappte er sich sofort das Telefon und wählte Lucias Nummer. Freizeichen.. er ließ es zehnmal klingeln, aber niemand ging ans Telefon. Er war besorgt. Das sah ihr nicht ähnlich. Da stimmte was nicht! In den nächsten Tagen versuchte er das immer wieder, aber seine beste Freundin bekam er einfach nicht an die Strippe. Wieder einmal musste er zum Kiosk, und wieder beschlich ihn ein seltsames Gefühl, das er nicht definieren konnte.


Resigniert setze ich mich in eine Ecke. Ich kann nicht mehr! ich bin verzweifelt, durcheinander, verwirrt. Wie betäubt stehe ich schließlich auf und gehe die Straße hinunter. Wohin? Keine Ahnung Wieso hab ich kein Zuhause mehr? Wieso friere ich nicht wirklich, obwohl es offensichtlich eiskalt ist, sonst wären die Obdachlosen nicht so eingemummelt.

Und dann, ganz plötzlich, fällt es mir wieder ein: der Unfall. Ich ging über die Straße und plötzlich war da ein Auto. Ich habe es nicht mehr zur anderen Straßenseite geschafft. Es hat mich mitgeschleift. Also bin ich.. tot? Ist es nur noch mein Geist, der hiergeblieben ist? Aber wieso hat mich Betty dann gesehen und Viktor mich beim ersten Mal noch wahrgenommen? Hat er nur geglaubt, etwas gehört zu haben? Sie hatten schon immer eine enge Verbindung gehabt, aber es reichte wohl nicht aus, um ihm noch eine letzte Nachricht zukommen zu lassen.

Lucia sah ein, dass sie loslassen und gehen musste. »Lebt wohl!«, flüsterte sie, dann ließ sie sich nach oben treiben.

ENDE