Schlaflos
Die Uhr tickt. Gleichmäßig wandert der Zeiger immer weiter. Es ist bereits vier Uhr morgens und ich liege immer noch wach. Wieder eine Nacht, in der ich nicht schlafen kann. Warum? So wirklich weiß ich es nicht. Sind es die Gedanken, die unaufhörlich in meinem Kopf kreisen und mich nicht zur Ruhe kommen lassen? Aber was genau ist es, das mir jede Nacht den Schlaf raubt? Zum wiederholten Male drehe ich mich von einer Seite auf die andere. Aber es nützt nichts. Schließlich gebe ich auf, stehe auf und setze mich in mein Büro. Ich schaue auf den Monitor, aber auch im Messenger tut sich nichts. Niemand da, mit dem ich reden könnte. Wer sollte das um diese Zeit auch sein? Alles um mich herum ist still, nur der Regen trommelt unaufhörlich gegen das Fenster. Es ist der stillste Moment der Nacht. Nichts regt sich. Kein Auto fährt die naheliegende Straße entlang, kein Hund bellt. Alles still. Und so ganz langsam wird es auch in mir still.
Bald ist auch dieses Jahr vorbei. Es verging, wie jedes Jahr. Eintönig eben. Resigniert schaue ich aus dem Fenster. Im Sommer würde es jetzt dämmern. Ich liebe den Moment, wenn die Morgendämmerung sich gerade eben erahnen lässt. Sonnenaufgänge sind etwas wunderschönes, finde ich. Sie verbreiten Hoffnung. Hoffnung? Welche Hoffnung. Bitterkeit macht sich in mir breit. Hoffnung worauf?
Meine Gedanken schweifen ab und ich denke an früher, an ein anderes Leben. An einen Sonnenaufgang am Meer. Es ist als würde die Sonne aus dem Meer geboren. So wird wohl Hoffnung immer wieder neu geboren. Aber wie lange ist das her, jenes andere Leben! Vorbei, für immer vorbei.
Mein anderes Leben, das Leben in dem es noch Hoffnung gab, die Hoffnung auf Dinge, die ich bis dahin nur aus Büchern kannte. Liebe, eine eigene Familie… aber diese Hoffnung sollte sich nicht erfüllen. Ich habe die halbe Welt bereist, habe viel gesehen und gehört, aber das Gefühl, das Wissen, geliebt zu werden, fand ich nicht. Ein Frösteln legt sich um meinen Körper. Ich sehne mich nach ein paar lieben Worten, nur ein simples »ich hab dich lieb« würde mir schon reichen. Ab und zu mal in den Arm genommen werden, ohne darum bitten zu müssen, wie schön wäre das! Aber woher sollte das kommen? Was habe ich getan, um dieses Leben verdient zu haben? Was mache ich falsch?
Meine Gedanken schweifen weiter in die Vergangenheit, vor meinen Augen entsteht ein altes Schlösschen. Ein Mann, mein Mann, in Ritterrüstung begleitet mich auf seinem Pferd und an meiner Hand läuft ein kleiner Junge neben mir her. Auf dem Arm sitzt ein weiterer Junge und kräht fröhlich vor sich hin. Wieviele Jahrhunderte ist das her? Ich weiß es nicht mehr. Unwillkürlich muss ich lächeln. Es war eine harte, aber schöne Zeit. Nein, an so etwas wie Computer hat man damals nicht einmal im Traum gedacht.
Wieder schaue ich hinaus. In wenigen Stunden wird auch diese Nacht vorüber sein und ein neuer Tag wird beginnen. Er wird genauso verlaufen ,wie der letzte, wie der vorletzte. Natürlich werde ich mir nichts anmerken lassen. Werde die fröhliche, humorvolle Freundin sein, die ich immer war, werde lächeln, wenn ich eigentlich weinen möchte. Aber das ist wohl mein Schicksal, so soll es wohl sein. Langsam lehne ich mich im Bürostuhl zurück…
»Mama, Mama, aufwachen!« Jemand rüttelte sie wach. Verschlafen schaut Luna ihre kleine Tochter Rocio an. Sie war erst drei, hatte aber die Energie einer Sechsjährigen. Ricardo, ihr Mann, schlief noch tief und fest. Zärtlich küsste sie ihn wach, dann stand sie seufzend auf. Ein neuer Tag begann, mit seinen vielfältigen Aufgaben als Ehefrau und dreifache Mutter.
Noch öfter sollte sie in nächster Zeit über die seltsamen, so real erscheinenden Träume nachdenken. Was war Traum und was Realität? Hatte sie das alles wirklich einmal erlebt? Und wenn ja, wann und wie..? Kopfschüttelnd sah sie ihrem Mann nach, der sich gerade in seinem Schweber in die Luft erhob.
ENDE
November 2010