Kalt
Langsam schleppte ich mich die Straße entlang. Wohin ich eigentlich wollte, hatte ich längst vergessen. Denn – es war kalt, eisig kalt, seit Monaten schon. Meine Hände spürte ich schon lange nicht mehr, sie waren steif gefroren. Das gleiche galt für meine Beine und meine Füße. Aber immer weiter schleppte ich mich vorwärts. Obwohl ich mich fragte: warum eigentlich? Es hatte doch eh keinen Sinn mehr, eigentlich konnte ich mich genauso gut in den meterhohen Schnee fallen lassen und dann war ich bald tot.
Alles hatte ganz harmlos angefangen. Von einem Stromausfall war die Rede. Erst glaubte ich noch daran, dass sich das in wenigen Stunden regeln würde. Aber aus diesen Stunden wurden Tage, dann Wochen und nun waren schon 6 Monate vergangen. Bei dem Stromausfall war es nämlich nicht geblieben, denn nach einer Woche wurde es kälter, nach zwei Wochen kam der erste Schnee und er hörte nicht wieder auf. Alles versank im Chaos. Wir hatten alles Mögliche genommen, um Feuer zu machen, nachdem die Heizungen ausgefallen waren. Keiner konnte uns sagen, was eigentlich los war. Ohne Strom gab es nämlich kein Radio, Fernsehen und auch kein Internet mehr. Wir waren abgeschnitten. Nach ein paar Tagen war auch das Festnetztelefon tot.
Auch jetzt schneite es. Es hatte die ganze Zeit nicht aufgehört zu schneien. Langsam machte sich die Kälte auch in meinem Inneren breit. Ich fühlte mich verloren, einsam, verlassen. Halb betäubt stolperte ich weiter. In diesem Durcheinander hatte ich langsam alle verloren. Die Supermärkte waren schon fast alle leer. Viele waren schon erfroren. Erst hatte es die Obdachlosen getroffen, dann die, in deren Häusern es keinen Kamin gab und jetzt würde auch bald der Rest dran sein.
Alle aus meinem Umfeld waren bereits tot. Da war niemand mehr, ich war als Einzige übriggeblieben. Warum? Wieso konnte ich nicht auch sterben? Ich wollte nicht mehr, ich hatte keine Kraft mehr. Der Hunger machte mich fertig. Seit Tagen hatte ich nichts Gescheites mehr zu essen gefunden. Innerlich war ich doch schon tot! Ich fühlte mich allein gelassen. Warum waren sie alle ohne mich gegangen? Niemals wieder würde mich jemand in seine Arme nehmen, mir Wärme und Liebe geben, mich trösten. NIE WIEDER! Immer wieder hämmerten diese Worte in meinem Kopf.
Erschöpft ließ ich mich schließlich doch in den Schnee sinken. Ich konnte nicht mehr, ich wollte nicht mehr. Sollte mich doch der kalte Tod holen, was spielte es schon noch für eine Rolle? Langsam wurde mir schwarz vor Augen. Ich sank in eine willkommene Bewusstlosigkeit.
Alles war weiß. Eine viele Meter dicke Schneedecke hatte sich über das Land gelegt. Es sollte noch viele Jahrzehnte so bleiben. Der letzte Mensch hatte sich im Schnee zusammengerollt und war einen gnädigen Tod gestorben.
Und es schneite weiter …
ENDE